Mein Spanisch-Fortschritt: Vom Lernen in der zone und Netflix
In der 10. Klasse hatte ich die Möglichkeit, eine neue Fremdsprache zu beginnen: Spanisch.
Seitdem sind über 2 Jahre vergangen und ich habe heute die Spanisch-Klausur in Q12/1 und damit auch die letzte Klausur des Jahres 2018 geschrieben. Die Erleichterung ist groß und nun habe ich auch endlich die nötige Zeit, um ein vorzeitiges Fazit über meinen sprachlichen Fortschritt und die Gründe dafür ziehen zu können.
2016 begann ich mit einem großen passiven Wortschatz an Latein-Vokabeln und einem bereits seit einigen Jahren, wenn ich so sagen darf, fließendem Englisch. Tatsächlich war mir die Art der spanischen Grammatik mit ihrem Subjuntivo und den verschiedensten Relativkonstruktionen jedoch noch ziemlich unbekannt, während diejenigen, die davor Französisch statt Latein gelernt hatten, damit bereits Bekanntschaft schließen konnten. Die Vorfreude auf eine „lebendige“ Sprache war nach 5 Jahren Latein ziemlich groß (auch weil ich mich in meinem Kopf bereits r-rollend und Sombrero-tragend an einem Strand auf den Malediven gesehen habe).
Meinen Spaß an Latein hatte ich irgendwann zwischen Gerundium und Gerundiv verloren, da ich damals noch zu jung war, um die Motivation aufzubringen, verpasste Stunden und Grammatik nachzulernen. Rückblickend scheint es mir jedoch immer noch wie die richtige Wahl, das komplizierte Latein dem schönen Französisch vorgezogen zu haben. Dadurch erschien mir nämlich jegliche Grammatik des Spanischen geradezu einfach und deprimierende Rückschläge durch einen overload an Information, wie sie viele Schüler erfahren und dann in einem Fach „aussteigen“, blieben mir erspart.
Kleine Theorie meinerseits zu diesen „overloads“: Das typische Fach für overloads ist wohl die Mathematik. Dabei ist beinahe jeder Sachverhalt kompliziert und man bewegt sich im Unterricht oft an seiner Aufnahmegrenze. Ein neues Thema an einem schlechten Tag (mit niedrigerer Aufnahmegrenze durch Müdigkeit, Aufregung etc.) kann den Kopf überbeanspruchen und ein reines Zuhören reicht nicht mehr zum Verstehen. Entscheidet man sich dann nicht für’s aktive Zuhören (gut bildlich vorstellbar durch ein Aufsetzen aus der passiven Sitzposition sowie ein Neigen des Kopfes und und ein kritisches Senken der Augenbrauen), so fliegt der Unterrichtsstoff quasi über den Radar hinweg und wird nicht aufgenommen. Natürlich ist ständige Aufmerksamkeit für einen Jugendlichen mit durchschnittlich sechs Stunden Schlaf nicht umsetzbar, es braucht also eine andere Lösung. Um das Verpasste ohne Hilfe des Lehrers zu wiederholen, muss man sich tatsächlich daheim in Ruhe hinsetzen und sich wieder aktiv in die Materie hineinzudenken und wenn nötig auch recherchieren, um zu verstehen. Tut man dies nicht so bald wie möglich, so wird der Unterricht davongaloppieren und den Schüler hinter sich herschleifen. Ohne die nötige Motivation für den Sprint nach dem bildlichen Pferd wird es unmöglich, wieder aufzusatteln. Kurz vor der Klausur zu versuchen, den Anschluss wieder zu finden, ist zwar durchaus möglich, birgt aber das Risiko, jegliches organische Verständnis, das man „auf dem Pferd“ bekommen würde, zu verpassen.
Was mir beim Spanischlernen am meisten geholfen hat, war die Weise, in der mein Lehrer seinen Unterricht gestaltet. Dabei muss man nicht langweilige Tafelbilder abmalen oder in Stummarbeit Buchtexte bearbeiten, sondern wird quasi gezwungen, aktiv am Unterricht teilzunehmen. Der Unterricht ist dabei eine eigentlich durchgehende Konversation zwischen den Schülern und dem Lehrer. Dass beinahe ausschließlich Spanisch geredet wird, war zuerst gewöhnungsbedürftig, stellte sich dann jedoch als großer Vorteil heraus. Dadurch muss man tatsächlich aktiv zuhören, um alles mitzubekommen. Vokabeln mitschreiben wurde für mich zur Gewohnheit und in einer Doppelstunde fülle ich so gerne einmal zwei Doppelseiten in meinem Vokabelheft.
Durch das erste Aufschreiben der Vokabeln im Unterricht habe ich sie bereits im passiven Gedächtnis, oftmals kann man sie gleich zur Beantwortung der nächsten Frage benutzen und hat sie so bereits einmal wiederholt. Etwas Vokabellernen daheim und schon hat man auf diese Weise ein neues „palabra“ im aktiven Wortschatz, das dem Gehirn im Idealfall jederzeit zur Verfügung steht. Ist ein Wort wichtig, oder fällt mir auf, dass mir ein wichtiges Wort entfallen ist, so findet man dieses oft mehrmals hintereinander in meinem Vokabelheft, um es möglichst schnell (wieder) in den aktiven Wortschatz einzugliedern.
Durch das ständige Hören und Sprechen von Spanisch und die fließenden Übergänge in neue „topicas“ bewegt man sich stets leicht außerhalb seiner bereits erlangten Fähigkeiten.
Dies habe ich als Hauptgrund für meinen schnellen sprachlichen Fortschritt identifiziert und ist allgemein als „zone of proximal development“ bekannt.
Ja, daher stammt tatsächlich der Ausdruck „to be in the zone“ und auch der vergleichsweise neue Sport-Streamingdienst DAZN spielt mit seinem Namen darauf an.
Die „zone of proximal development“ (kurz: ZPD) geht davon aus, dass es verschiedene „Zonen“ beim Erlangen von Fähigkeiten gibt. In der ersten Zone bewegt sich der Betroffene in einem Bereich, der genau seinen Fähigkeiten entspricht. Er mag diese dadurch zwar verbessern, lernt jedoch nichts Neues hinzu (no development). Für mich würde das wohl der Teilnahme an einem Mathematik-Kurs in der Unterstufe entsprechen. Die dritte Zone übersteigt die Fähigkeiten des Betroffenen so sehr, dass er das zu Lernende nicht versteht; auch hier gibt es folglich keine Entwicklung (no development). Für die meisten entspräche dies wohl den Mathematik-Vorlesungen an einer Uni.
Der Optimalfall ist dabei die zweite Zone, die ZPD. Dabei befindet man sich in einer Situation, die die derzeitigen Fähigkeiten zwar um ein bestimmtes Maß übersteigt, aber dennoch bewältigt und verstanden werden kann. Dies ist der perfekte Nährboden für Entwicklung (proximal development). Im Optimalfall sollte man dabei an den Mathematikunterricht in seiner jeweiligen Altersklasse denken.
Wie eng die ZPD mit dem Sprachenlernen verbunden ist, kann man besonders am Beispiel von Kleinkindern bemerken. Diese befinden sich ständig in einer Konversation mit Leuten, die mehr sprachliche Fähigkeiten haben als sie (vor allem ihren Eltern). Da der alltägliche Sprachgebrauch für Kleinkinder bereits verständlich ist, befinden sie sich in der ZPD und lernen die Sprache so besonders effektiv und schnell.
Ich habe festgestellt, dass ich mich durch das hohe Niveau des Spanisch-Unterrichts und mein (glücklicherweise) großes Interesse auch in einer solchen ZPD befinde und so besonders gut lernen kann.
Tatsächlich beschränkt sich die Möglichkeit, in diesen optimalen Lernbereich einzutauchen, nicht nur auf die Interaktion zwischen Menschen. Hörbeispiele und Ausschnitte aus Videobeiträgen zwischen geborenen „hispanohablantes“ stellen dabei eine noch größere Herausforderung dar und tragen so noch saftigere Früchte.
Zu meinem großen Glück entdeckte Netflix anscheinend zur selben Zeit wie ich die spanische Welt und so kann ich immer wieder auf Serien wie „La Casa De Papel“, „Élite“ oder „Narcos“, die ganz oder zu großen Teilen auf Spanisch sind, zurückgreifen, wenn ich in „die zone“ eintauchen will. Mittlerweile kann ich manche Serien lediglich anhand von spanischen Untertiteln vollkommen verstehen, bei den meisten braucht es jedoch noch die englischen Untertitel.
Scheinbar kennt mich auch meine Familie gut und so gelangte ich früh in den Besitz eines Harry-Potter-Bandes auf Spanisch (Harry Potter y la piedra filosofal). Vor einem Jahr versuchte ich mich zum ersten Mal an dem Buch, fand jedoch noch keinen Spaß daran, da mir noch zu viele Vokabeln und Grammatikkenntnisse fehlten. Vor einigen Tagen habe ich erneut den Mut aufgebracht, das Buch zu öffnen: dieses Mal mit Erfolg! Ich habe bereits 60 Seiten hinter mir und (auch durch meine Vorkenntnisse) beinahe alles verstanden und einige neue Wörter gelernt. Die ZPD funktioniert also auch beim Lesen. Trotzdem muss ich peinlich berührt zugeben, rund 3 Seiten lang das Wort „lechuza“ für eine Kanne Milch gehalten zu haben. Die Erkenntnis, dass diese Vokabel jedoch „Eule“ bedeutet, klärte viele Missverständnisse („leche“ bedeutet nämlich „Milch“).
Es ist immer wieder interessant, die Gründe für seine eigenen Entwicklungen zu hinterfragen und zu solch wertvollen Ergebnissen zu kommen. Nun kann ich diese bewusst implementieren, um mich noch zielstrebiger und effizienter entwickeln zu können. Ich hoffe sehr, dass auch nächstes Jahr ein gutes „Spanisch-Jahr“ wird und ich bis zu meinem mündlichen Abitur optimal vorbereitet sein werde.