Vom Schachspielen und vom Lernen
Hast du schon einmal Schach gespielt?
Wenn ja, dann weißt du wahrscheinlich, wie anstrengend dieses scheinbar harmlose Spiel sein kann. Absolute mentale Aufmerksamkeit ist gefordert, es gibt keine Pausen. Du berechnest die ganze Zeit deinen Gegner, deine Züge, planst, verwirfst und ziehst schließlich, bis das Ganze wieder von vorne losgeht.
Beim Schachspielen schaltet irgendetwas in meinem Kopf um und meine ganze Konzentration ist nur noch auf das board gerichtet. Alles andere ist ausgeblendet und ich überlege mir die (hoffentlich) besten Reaktionen auf die Aktionen meines Gegners.
Ich spiele viel zu wenig Schach und schaue viel zu viele YouTube-Videos über Autos, die mich eigentlich gar nicht interessieren, von Leuten, die ich ehrlich gesagt nicht einmal mag.
Der Grund dafür ist wohl, dass ich mich mit Videos ausruhen kann, während ich beim Schach aktiv mitdenken muss.
Aktives Denken, das ist laut Daniel Kahneman (Nobelpreisgewinner für Wirtschaft) das System 2 in unserem Kopf. System 1 hingegen, das durchdenkt die Dinge nicht wirklich, sondern handelt aus Instinkt und Erfahrung ohne jegliche Anstrengung.
Würde ich mehr Schach spielen, so würde ich sicherlich schnell Erfahrung sammeln, wodurch ich nicht mehr jeden einzelnen Zug lange und mit viel Energieaufwand (System 2) durchdenken müsste. Weil es aber viel leichter ist, plumpe Videos auf Autoplay durchlaufen zu lassen, habe ich es viel zu selten gemacht.
Genauso geht es vielen meiner Mitschüler und auch mir selbst oft mit dem Lernen.
Man kommt gar nicht erst zum Lernen, denn man bevorzugt die gemütliche Variante und akzeptiert möglicherweise sogar die Konsequenz einer schlechten Note oder unglaublichen Zeitdrucks.
Ich lerne so gut wie immer, wenn es die Möglichkeit einer Note gibt. Das Schwierigste ist dabei, sich diesen Ruck zu geben, vom Sofa aufzustehen und sich an den Schreibtisch zu setzen.
Mein Gehirn kann anscheinend relativ gut einschätzen, was denn die minimale Zeit ist, die ich für den Stoff einer Klausur oder eines Tests brauche, denn genau dann wenn jene Zeit noch in der Sanduhr steckt wird auch wirklich jeder Muskel in meinem Körper durch meinen Ehrgeiz dazu gezwungen, etwas zu machen.
Bisher hatte es wenig Auswirkungen auf mein Notenbild, aber doch viele auf meine mentale Belastung in Klausurenphasen.
Besonders äußert sich dieser Hang zur idleness in jedem wohl in kurzen Ferien, die man super zum Lernen nutzen könnte und sich auf die nächsten drei Klausuren vorbereiten könnte, um sich später Arbeit und Druck zu ersparen. In der Realität nutzt man sie dann trotzdem meist nur, um ein paar neue Serien anzufangen.
Ein weiteres, wohl auch allgemein bekanntes Beispiel, ist das Lernen beim Schauen von Videos.
Es gibt nichts heuchlerischeres sich selbst gegenüber! Niemand kann ernsthaft und langfristig gesehen gut lernen, wenn nur 20 Zentimeter entfernt von seinem Hefteintrag um Likes gebettelt wird. Ich weiß, dass es reine Gewissenspolitur ist, und trotzdem mache ich es manchmal.
Für die astreine Arbeit des Systems 2 braucht es Ruhe. Ein Experiment dazu wäre folgendes: Mach ein Video deines Lieblingsyoutubers an und stoppe mit, wie lange du brauchst, um 17 x 231 im Kopf zu rechnen.
Dann mach das Video aus und rechne 18 x 178.
Während du mit einem Teil deines Gehirns versuchst, die eine Teillösung deiner Rechnung ( z. B. 20 x 231 ) im Kopf zu behalten, musst du auch noch den zweiten Teil ausrechnen (z. B. 3 x 231 ) und dann die beiden Zahlen noch exakt in Erinnerung haben, um die eine von der anderen abziehen zu können.
Dass während dieses ohnehin schwierigen Prozesses unnütze Informationen von deinem Gehirn aufgenommen werden müssen, erschwert die Sache nur noch mehr und frustriert sogar.
Und so wirst du wegen der simultanen Stimulation deines Gehirns (durch z.B. das Video und das Lernen) nicht nur länger brauchen, sondern auch am nächsten Tag weniger von dem eigentlich Gelernten im Kopf haben.
Viele Schüler „lernen“ auf diese oder ähnliche Art, und denken zu wissen, obwohl sie die relevanten Punkte nicht einmal ohne Blatt aufsagen können.
Wer sich nicht ohne Nebenbeschäftigung auf den Stoff fokussiert, verschwendet seine Zeit und Mühe.
Aus meiner Sicht hat man erst richtig gelernt, wenn man die Dinge wirklich weiß. Auf diese Weise sind die Hälfte aller möglichen Aufgaben einer Klausur geschenkt und es gibt keine Möglichkeit mehr für richtig schlechte Noten.
Das bloße Anschauen, Durchmurmeln und schriftliche Zusammenfassen der diversen Blätter und Buchseiten ist nicht mehr als Hypokrisie, wenn das von dem Blatt nicht in deinem Kopf ist.
Wenn ich Videos beim Lernen schaue, schreibe ich liebend gerne Zusammenfassungen oder konnotiere Hefteinträge. Es gibt mir das Gefühl, etwas getan zu haben, und den Beweis dafür hätte ich ja positiv vor mir. Etwas gebracht hat es erst dann, wenn die gute Note in deinem Zeugnis steht.
Immer wieder passiert es mir, dass ich ein Blatt mit Stichpunkten vor mir habe, es mir logisch erscheint und ich denke, es zu können. Drehe ich das Blatt dann aber um und gehe es in meinem Kopf durch, so fehlt die Hälfte, weil ich nicht aktiv gelernt habe. Mein System 1 kann schön im Nominalstil zusammenfassen und bunt markieren, während es Gordon Ramsay beim Steakmachen zusieht. Doch Dinge aktiv in mein Gedächtnis übertragen kann nur mein System 2.
Es gilt also: Lerne so, wie du Schach spielen würdest. Konzentriere dich und überdenke die Dinge. Lass dein System 2 arbeiten. Fokussiere deine Gedanken auf das Spiel und spiele, um zu gewinnen. Du lernst schließlich, um gute Noten zu bekommen. Wer nicht richtig lernt und trotzdem gute Noten erwartet, der spielt mit zufälligen Zügen Schach gegen einen schweren Gegner und wird mit Sicherheit verlieren.
Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, dann les’ doch gleich noch einen!
Die Zukunft der Formel 1
Christopher Kliebenstein aktuell, AllgemeinVom Schachspielen und vom Lernen
Christopher Kliebenstein aktuell, Allgemein